Wir reisen langsam. Unter anderem deswegen, weil wir den Übergang zwischen den Kulturen, Sprachen, Landschaften etc. bewusst miterleben wollen. Doch nichts was wir bisher erlebt haben, hat uns auf den Iran vorbereitet.
Es ist einfach alles komplett anders hier. Anders, als wir es kennen und anders, als wir alle denken.
Der Grenzübergang verläuft relativ geschmeidig. Ein LKW-Fahrer bringt uns in Armenien bis kurz vor die Grenze, danach geht es zu Fuß weiter. Wir wollen die nächste Großstadt Täbris wie gewohnt per Anhalter erreichen. Und sind erstmal überrascht, dass die Fahrer Geld erwarten. Wir erfahren später, dass die Iraner einfach das Konzept nicht kennen, doch zunächst ist es für uns und für die Fahrer eine unangenehme Situation. Dazu kommt, dass der Verkehr einfach geistesgestört ist. Es gibt keinerlei erkennbare Regeln und es wäre gefährlich, sich hier einfach an den Straßenrand zu stellen. Und dann muss man dem Fahrer auch noch mit Händen und Füßen erklären, dass man kein Geld bezahlen will! Und irgendwie fühlt es sich auch nicht richtig an, jemandem der viel weniger hat als man selbst erklären zu wollen, dass er einen umsonst mitnehmen soll.
Täbris ist laut, LED-bunt, voll und hektisch. Dazu muss ich erwähnen, dass wir zuvor 10 Wochen in Armenien waren, wo sich unsere sozialen Kontakte, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, auf wodkatrinkende Hirten beschränkt haben und wir sehr sehr oft auch einfach gar keine Menschen gesehen haben. Ihr könnt euch also vorstellen, wir waren etwas überfordert…
Außerdem ist alles im Iran irgendwie kompliziert und schwierig. Es ist alles möglich, aber eben nicht so einfach… Sei es an Bargeld zu kommen, eine SIM Karte zu erwerben (zum ersten Mal auf unserer Reise, dazu später mehr), sich mit dem Internet zu verbinden, einen stinknormalen Supermarkt zu finden, irgendwo hinzukommen etc…
Wir kommen an unsere Grenzen in diesen ersten Tagen. Und dann die Iraner selbst! Wir haben von anderen Reisenden gehört, wie wunderbar gastfreundlich sie sind. Aber dass sie alle auch verrückt sind, hat uns niemand gesagt :-D. Es fällt uns schwer das Verhalten richtig einzuschätzen (Stichwort „Taarof*“). Mir wird nach wenigen Tagen klar, dass ich mich entweder zu 100% auf das hier alles einlassen muss oder ich hier eine sehr schwere Zeit haben werde, denn das Land wird sich für mich nicht verändern.
Überfordert, planlos, latent genervt, sind wir also in Täbris und beschließen erstmal in den Süden zu fahren. Dort ist es jetzt schon heiß und das wird ja in den kommenden Wochen nicht weniger. Die großen Städte sind hier sehr gut durch ein funktionierendes Bussystem verbunden. Und so kommt es am Busterminal in Täbriz zu einer dieser Begegnungen, weshalb man die Iraner einfach lieben muss. Vahid quatscht uns an und fragt uns, was wir vorhaben. Gute Frage, wissen wir ja selber nicht genau :-D. Er spricht ganz passables Englisch und begleitet uns zum Ticketschalter. Schon mal eine riesen Hilfe, oder würdet ihr euch bei dieser Beschilderung auskennen?
Außerdem klärt er uns ein wenig über das Bussystem und mögliche Routen auf. Ticket also erfolgreich erworben, bis zur Abfahrt sind es noch 3.5 Stunden. So weit so gut, vielen Dank Vahid für deine Hilfe!
Doch Moment, wir sind hier im Iran! Vahid muss ein Päckchen am Busterminal abholen. Er verspricht in 20 Minuten nochmal vorbeizuschauen. Und das macht er dann auch. Und irgendwann wird uns klar, dass er bis zur Abfahrt bleiben wird. Über 3 Stunden. Aber das in einer liebenswürdigen vornehmen Zurückhaltung. Er lässt sich partout nicht mal auf eine Limonade einladen. Er genießt es einfach, sein Englisch zu üben und mit uns über das Leben zu sprechen. Wie wir die Welt sehen und was die Welt über den Iran denkt. Es wird ein wunderbar bereichernder Nachmittag. Vahid bringt uns zum richtigen Bussteig, setzt uns auf die richtigen Sitzplätze, steigt aus, kommt nochmal mit 2 Tafeln Schokolade zurück, steigt wieder aus und steht winkend am Bahnsteig, bis der Bus losfährt und außer Sichtweite ist. Es war ihm einfach wichtig, dass er weiß, das alles gut gegangen ist.
Wir verbringen also die nächsten 3 Tage fast nur im Bus und erreichen schließlich Shiraz. Zwischendurch bricht auch noch unsere Zeltstange und Daniels Rucksackriemen reißt. Wenn schon alles doof, dann so richtig…
Durch einen anderen Reisenden stoßen wir auf das Ziba Hostel, wo wir nach einer langen Nachtfahrt mit den Kräften am Ende ankommen. Ich habe es schon öfter im Blog gesagt, das Leben gibt einem oft das, wonach man sucht. Und so ist das Ziba Hostel unsere kleine Wohlfühloase. Hamid, der Hostelbetreiber, wird schnell zum Freund und hilft uns klarzukommen und alles Nötige im neuen Land zu erledigen. Wir lernen wunderbare Menschen kennen und können uns langsam an alles gewöhnen.
Wir verlassen viele Komfortzonen, denn alleine ist man hier nie. Wir lernen schnell, dass es das Wort „Privatsphäre“ nicht gibt.
Die Iraner setzen sich ungefragt neben einen oder fordern nachdrücklich dazu auf sich zu ihnen zu setzen. Und dann wird man ständig gefragt, ob es einem gut geht. Ich kann mir kaum gegensätzlichere Kulturen vorstellen als die deutsche und iranische :-D. Andererseits hat uns das schon so viele tolle Begegnungen beschert, denn die Iraner sind eben auch wahnsinnig intelligente, interessierte und feingeistige Menschen mit denen man tiefgründige Gespräche führen kann. Und sie machen uns die Integration so leicht und packen uns wie selbstverständlich ein, wenn sie einen Ausflug machen.
Nach einem kurzen Abstecher auf die Insel Hormuz landen wir wieder bei Hamid und bleiben dieses Mal 2 Wochen. Dank der Integrationsbereitschaft der Iraner sind wir bald eine richtige Hostelclique.
Der Iran verändert also auch unseren Reisestil, wir werden uns hier deutlich mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegen. Außerdem läuft alles irgendwie über Kontakte, die einen einfach irgendwo mit hinnehmen oder zu sich einladen. Deshalb auch die SIM-Karte. Wir müssen unsere neuen Freunde ja auch irgendwie erreichen. Und WLAN gibt es selten…
Wir werden viel aus der Zeit hier mitnehmen, das ist jetzt schon klar. Ein älterer Herr meinte, ich verhalte mich schon selbst wie eine Iranerin :-). Wir schauen uns natürlich das Verhalten ab und es wird schnell selbstverständlich, alles zu teilen was man hat und zu gucken, dass es allen gut geht. Und das ist ja nicht das Schlecheste.
Fun-Fact am Rande: Die Iraner haben von Deutschen das Bild, dass wir kühl sind, distanziert und es nicht mögen, wenn man unsere Kinder anfässt. Ich kann ihnen da nicht wirklich widersprechen, aber schöner wäre es doch, man würde uns positivere Attribute zuschreiben, oder?
Wie schon angedeutet, werden wir sehr sehr oft angesprochen, vor allem Daniel tut sich Anfangs schwer damit. Ich versuche es so zu sehen: Wir haben in den letzten 2 Jahren so unglaublich viel geschenkt bekommen, sei es eine Einladung zum Tee, eine Flasche Wasser am Straßenrand, ein kostenloses Dach überm Kopf oder auch einfach nur ein paar freundliche Worte, die uns den Tag versüßt haben. Und ich könnte diese Liste vermutlich unendlich weiterführen.
Da find ich es richtig schön auch mal was zurückgeben zu können, es erfüllt mich mit Freude. Und die meisten Leute hier freuen sich einfach nur, sich mit einem Ausländer unterhalten zu können und ihr Englisch zu üben.
Ich kann und möchte gar nicht alles im Detail erzählen, was wir hier erleben, vieles hat im „öffentlichen Raum“ keinen Platz. Ich möchte euch aber dazu auffordern, dass wenn euch irgendetwas interessiert, bitte fragt mich oder Daniel persönlich, wir werden alles beantworten. Denn nur durch Fragen können Vorurteile abgebaut werden. Und das wäre mir für die Menschen hier im Land ein großes Anliegen.
*“Taarof“ ist kurz gesagt extreme Höflichkeit. Es wird einem etwas angeboten, obwohl derjenige der anbietet es eigentlich gar nicht will oder es sich nicht leisten kann.
Oh Bea, das ist sehr schön und beeindruckend erzählt!
Ich danke Dir, dass Du alles so toll formulierst, es liest sich leicht, auch dass Ihr anfangs im Iran zu knabbern gehabt habt lässt Du nicht aus – da leidet man spätestens jetzt mit.
Fast 6 Wochen erlebt Ihr den Iran nun schon, und ich frag mich wirklich, wo die Zeit geblieben ist.
Herzliche Grüße aus dem noch kühlen sommerlichen Deutschland – ab nächste Woche soll es mal über 20 Grad werden. 😉
Mama Hille 😘
Es freut mich sehr, dass euch der Blog auf die Reise mitnehmen kann ❤. Der Iran ist erst die Vorbereitung auf das, was noch kommen wird😂
Ja! – das denke ich auch 👍😘
Hallo ihr Beiden, danke für den tollen Bericht der Erlebnisse und Gefühle. So wie es sich anhört, sehr beeindruckend.
Eine gute Zeit weiterhin, im Moment von der schönen Insel Fehmarn (mit etwas besserem Wetter als un NRW :-))
Vielen lieben Dank, das freut mich sehr❤! Dir auch eine gute Zeit weiterhin!
Grüße aus Innsbruck. Eure Entscheidung den Iran nicht auszulassen und euch darauf einzulassen war total richtig und tut euch wie immer gut. Komfortzonen ändern sich ständig und man wächst daran. Ach, ich freu mich immer so eure Eindrücke zu lesen und die Bilder zu verfolgen.
Danke liebe Ramona! Der Iran ist Komfortzonen-verlassen next level😂. Aber darum geht es uns ja beim Reisen auch.