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024-Sag zum Abschied leise „nachwamdis“

024-Sag zum Abschied leise „nachwamdis“

Der Winter ist vorüber, die ersten Frühlingsboten zu spüren und wir sind tatsächlich bis zum Besuch unserer Mütter Ende Februar auf der Odashi-Farm im Dorf Nigoiti geblieben. Geplant war das so nicht, wir haben uns einfach vorgenommen so lange zu bleiben, wie es sich für uns gut anfühlt.

Nach über 4 Monaten ist die Odashi-Farm zu unserem Zuhause geworden. Zwar eines mit Löchern im Dach und undichten Türen aber eben unser Zuhause. Noch nie vorher auf unserer Reise waren wir so lange an einem Ort. Wir werden viel Zeit brauchen, das Erlebte zu verarbeiten, haben wir doch so viel hier gelernt.

Nicht nur, dass wir wahnsinnig viel über Gemüse gelernt haben und wir die Pflanzen jetzt viel mehr als Lebewesen begreifen. Zu sehen wie sie wachsen, wie intelligent sie sind, ihren ganzen Lebenszyklus mitzubekommen, ist ein schönes Gefühl. Es macht uns wahnsinnig glücklich jeden Tag durch die Felder zu gehen und uns um die Pflanzen zu kümmern. Es ist ein Gefühl der Ausgeglichenheit, das ich vorher nicht kannte.

Auch unsere handwerklichen Fähigkeiten konnten wir ausbauen. So hat Daniel z.B. eine Hundehütte gebaut. Und es war das allererste Mal, dass er überhaupt etwas gebaut hat!
Fazit: Warum soll es den Hunden besser gehen als den Menschen? Löcher im Dach und undichte Türen aber eben ein Zuhause :-D.

Tierpflege gehört ebenfalls zu unseren Aufgaben und wir haben viel dazu gelernt. Ihr erinnert euch an die 2 Schweine? Es fiel uns allen schwer aber sie sind mittlerweile geschlachtet worden. Ein paar Kilo haben wir zum Eigenverzerr behalten. Wir haben mit der Entscheidung gekämpft, ob wir das Fleisch essen wollen. Ihr könnt euch vorstellen, wenn man ein Tier kennt, denkt man nochmal viel intensiver über den Fleischkonsum nach. Doch vegan leben wir ja seit der Reise ohnehin nicht mehr. Also wäre es ja irgendwie unlogisch, ausgerechnet dieses Fleisch nicht zu essen, wissen wir doch hier ganz genau woher es kommt und dass die Tiere ein gutes Leben gelebt haben.

„It’s never boring at Odashi!“ Und so haben wir von einem Tag auf den anderen 300 gerade mal 1 Tag alte Küken! Auch denen können wir nun tagtäglich beim Wachsen zusehen. Anfangs fand ich sie langweilig, dann nervig und zuletzt konnte ich es kaum erwarten in den Hühnerstall zu gehen! Ein paar der Hühner werden auf der Farm bleiben, der Rest wird weiterverkauft.

Doch wir erwerben nicht nur sogenannte „Hardskills“, auch für uns selbst ist es eine lehrreiche Zeit. Hier auf der Farm haben wir das Gefühl, viel mehr das „echte“ Leben mitzubekommen als wir es je in München getan haben. Denn sind wir doch mal realistisch, prozentual leben die wenigsten Menschen in dem Luxus, der für uns in Deutschland normal ist. Wir lernen, dass es für alles irgendeine Lösung gibt. Vielleicht nicht immer die Beste oder Schönste, aber eine Lösung. Und man muss auch nicht alles immer bis zum Ende Durchdenken, man kann auch einfach mal anfangen und auf die Probleme dann reagieren, wenn sie auftreten (unsere Reisefreunde Simone und Torsten sagen übrigens „Es gibt keine Probleme, nur Lösungsgeschenke“ ;-)). Der Zusammenhalt im Dorf ist außerdem groß, man kann jederzeit seine Nachbarn um Hilfe bitten.

Sali, Ika, Daniel und ich sind vier grundverschiedene Menschen. Und doch haben wir ein harmonisches Zusammenleben. Viele Dinge würden Daniel und ich intuitiv anders machen als die beiden. Haben wir doch gelernt, alles vorher genau zu planen, Risiken abzuwägen und im Zweifel auf Nummer sicher zu gehen. Doch warum gehen wir eigentlich davon aus, dass „unser“ Weg der Richtige ist?

So dankbar wir sind diesen einmaligen Ort für das Überwintern gefunden zu haben, so bekommen wir langsam wieder Hummeln im Hintern. Wir sind heiß auf das was als nächstes kommt. Durch Armenien, Iran, Pakistan, Indien und Sri Lanka soll es dieses Jahr gehen. Länder vor denen wir zum Teil großen Respekt haben.

Und doch ist der Abschied von der Farm Ende Februar tränenreich. Wir erleben einen wunderbaren Abschiedsabend mit all den lieben Menschen aus dem Dorf und es ist irgendwie schön, dass nicht nur bei uns die Tränen laufen. Wer hätte gedacht, dass wir in einem kleinen georgischen Dorf in Guria ein Zuhause finden!

Wenn wir Georgien im März verlassen, werden wir 9 Monate hier gewesen sein. Wir können uns gut an unsere ersten Tage erinnern. Wir erlebten einen regelrechten Kulturschock nach der Türkei und fanden die Georgier griesgrämig. 9 Monate später haben die Georgier die Freundlichkeit auf den ersten Blick zwar immer noch nicht gepachtet, aber wir haben viel über das Land und die Menschen gelernt. Geschichte kann auch immer erklären, warum etwas ist, wie es ist. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erlebte Georgien eine schwierige Zeit. In den 1990er Jahren kämpften die Menschen ums Überleben, Strom, Lebensmittel etc. waren Mangelware, die Kriminalität hoch. Der Wunsch war groß, sich vom Nachbar Russland unabhängig zu machen, die Georgier strebten gen Westen und wollten unbedingt zur EU gehören. Der Wunsch besteht bis heute… Ist man auf der Suche nach dem europäischen Gedanken, sollte man unbedingt Georgien besuchen. Wir haben noch nie so viele EU Flaggen gesehen!

2008 gab es den bislang letzten Krieg mit Russland, seitdem sind die Gebiete Abchasien und Südossetien von Russland besetzt. Und die Georgier hoffen weiterhin auf Frieden und Fortschritt für ihr Land. Die junge Generation, v.a. in Tiflis, ist sehr politisch, der große Nachbar Russland ist den meisten verhasst. Haben wir auf unserer Reise bislang meist erfolgreich vermieden über Politik zu sprechen, ist das in Georgien unmöglich.

Mit seinen 3,5 Millionen Einwohnern, wovon schätzungsweise rund 1 Million im Ausland leben, ist Georgien einfach zu klein, um alleine überleben zu können. Es ist klar, dass ein starker Partner gebraucht wird.
Wie soll es mit dem Land weitergehen, wenn so viele v.a. junge Menschen im Ausland sind und dort arbeiten? Doch die Anreize und Möglichkeiten im eigenen Land sind bislang einfach zu gering.

Da ich vorhin die Kriminalität in den 1990er Jahren erwähnt habe, möchte ich an dieser Stelle noch sagen, dass sich das absolut ins Gegenteil verwandelt hat. Wir empfinden Georgien als eines der sichersten Länder bislang, ich kann hier als Frau Nachts alleine durch Tiflis laufen ohne ein mulmiges Gefühl, spüre nie seltsame Blicke oder anzügliche Bemerkungen.
Und überhaupt, Tiflis! Leute, besucht unbedingt diese Stadt. Da geht einiges.

Und auch, wenn die Georgier gerne granteln (das ist mir als Bayerin ja nicht gänzlich fremd ;-)), sind sie halt Menschen wie du und ich und überall auf der Welt. Wir haben hier Freunde gefunden, wurden von Fremden aufgenommen, haben zusammen gelacht, geweint, getanzt, gefeiert. Und sobald man sich einen Weg ins Herz der Georgier gebannt hat, erleben wir eine unglaubliche Hilfsbereitschaft.

Das Bauchgefühl sagt, dass wir irgendwann wieder nach Georgien kommen werden. Aber für jetzt sagen wir erstmal leise „Servus und Nachwamdis“.

6 thoughts on “024-Sag zum Abschied leise „nachwamdis“

  1. Hallo Ihr Beiden Lieben, es geht mir als ob ich mit dabei wäre – so anschaulich und einfühlsam wie Du schreibst- Danke fürs Teilhabenlassen und weiterhin alles Gute und Liebe !!!
    Theresa

  2. Besser hättest Du die Worte zu unserer fantastischen Zeit auf der Odashi Farm und der gesamten Zeit in Georgien nicht wählen können. Ganz großes Kino! Bravo ❤️

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